Mit dem Bike nach Schottland – Teil II

Beitrag vom 08.04.2021 17:14 in Trails

Im November 2015 traf Urs Traxel eine Entscheidung. Er nahm sich vor, im Jahr 2017 mit dem Fahrrad von Erstfeld in der Schweiz hoch bis nach Schottland zu fahren. Im Interview mit Alexander Hornikel, Senior Partner bei Kloepfel Consulting, berichtet er von seiner Tour, den Highlights und Herausforderungen sowie Zukunftsplänen.

Im November 2015 traf Urs Traxel eine Entscheidung. Er nahm sich vor, im Jahr 2017 mit dem Fahrrad von Erstfeld in der Schweiz hoch bis nach Schottland zu fahren. Im Interview mit Alexander Hornikel, Senior Partner bei Kloepfel Consulting, berichtet er von seiner Tour, den Highlights und Herausforderungen sowie Zukunftsplänen.

Warum haben Sie sich für Schottland als Ziel entschieden?

Urs Traxel: «Die Idee einer grossen Radtour spukte schon seit vielen Jahren im Kopf herum. Ursprünglich wollte ich von Schottland aus in den Süden Englands runterfahren. Ganz nach dem Vorbild der ehemaligen Radprofis Rudi Altig, Sean Kelly und Jeannine Longo, die 2013 aus dem Norden Schottlands entlang der Kanalküste nach Südengland gefahren sind. Ich entschied mich schliesslich jedoch für einen etwas anderen Weg.»

Welches persönliche Ziel stand hinter der Entscheidung?

Urs Traxel: «Mit der Tour konnte ich einen langjährigen Traum realisieren. Als ich noch operativ tätig war, wollte ich mal zwei oder drei Monate Pause machen, habe allerdings nie den passenden Zeitpunkt gefunden. Als ich mich dann entschieden habe, Ende 2016 als Banken-CEO zurückzutreten, trat das Projekt Radtour in den Vordergrund. Das primäre Ziel war die sportliche Aktivität. Mit 16 Jahren habe ich begonnen, wettkampfmässig Zehnkampf zu betreiben und bis 40 war ich Leichtathletikinstruktor (Trainer und Coach). Ich habe in jüngeren Jahren fast täglich Sport betrieben, was allerdings in den letzten 20 Jahren zu kurz kam. Meine Funktion als Geschäftsleitungsmitglied liess es zeitlich nicht zu, genügend Sport zu betreiben. Für mich als Bewegungsmensch war die Radtour nun also eine Gelegenheit wieder stärker zum Sport zu finden.»

«Mit der Tour konnte ich einen langjährigen Traum realisieren»

 

Wie haben Ihre Freunde, Familie und Kollegen reagiert?

Urs Traxel: «Die Reaktionen waren unterschiedlich. Einerseits war mein Umfeld überrascht vom beruflichen Rücktritt. Andererseits habe ich ein starkes Verständnis für die Entscheidung gespürt. Nicht selten habe ich von Bekannten und Kollegen gehört „Das wäre auch mal was für mich“. Auch haben viele Personen in meinem Umfeld das Projekt über meinen Blog und über Facebook verfolgt. Noch heute bin ich erstaunt, wie viele Leute mich auf die Tour ansprechen.»

Los ging es am 3. August. Wie haben Sie sich auf den Start vorbereitet?

Urs Traxel: «Ich habe direkt nach meinem Rücktritt angefangen, mich mit dem Material für die Tour auseinander zu setzen. Eine Radtour in der geplanten Länge ist mit einem gewissen Planungs- und Organisationsaufwand verbunden. Die erste Frage war, auf welches Rad ich mich verlassen will. Nehme ich mein eigenes Rennrad, mein Mountainbike oder ein spezielles Tourenrad? Ich habe mich letztendlich für ein Tourenrad entschieden, welches ich mit einem Pinion-Getriebe bestücken liess. Als der Grundstein gelegt war ging es an die physische Vorbereitung. Denn eine solch lange Strecke verlangt dem Körper viel ab. Natürlich war ich viel auf dem Rad unterwegs, habe im Winter Spinning gemacht und war nebst dem Fitnesscenter Ski- sowie Langlaufen. Im Februar bin ich, sofern das Wetter es zuließ, auf mein Rad gestiegen. Dabei war ich oft im Süden der Schweiz, dem Tessin, unterwegs. Die viele Bewegung hat dafür gesorgt, dass ich rasch zu meinem früheren Wettkampfgewicht gefunden habe und so schliesslich bestens für die große Tour vorbereitet war.»

Wie sah der grobe Verlauf Ihrer Route aus?

Urs Traxel: «Mein erstes Zwischenziel war Strasbourg, also ab Basel den Rhein runter. Dann ging es bereits in Richtung London und nach Manchester. Danach war der Lake District und Schottland geplant, was ich aber nicht ganz erreichen konnte. Bei der Gestaltung meiner Route bin ich sehr pragmatisch vorgegangen. Die Routenpunkte, die ich unbedingt mitnehmen wollte, wusste ich schon lange. Mit Hilfe von Google Maps habe ich dann eine ungefähre Route geplant, anhand welcher ich zusätzliche Abstecher zu interessanten Orten und Städten einbauen konnte. Die grosse Unbekannte auf der Route war für mich all das, was hinter Strasbourg lag. Ich wusste, dass es durch die Vogesen nach Saarbrücken und von Saarbrücken nach Luxemburg durch hügeliges Gebiet gehen würde. Den ganzen Streckenteil durch die Vogesen kannte ich überhaupt nicht, was das Radprojekt zusätzlich spannend machte. Ebenso unbekannt war die Fahrt durch die Ardennen. Letztendlich haben die Vogesen und Ardennen am meisten Spass gemacht. Ursprünglich war geplant, dass meine Frau die gesamte Route mitfährt. Das war aus Jobgründen leider nicht möglich, weshalb wir beschlossen, uns in Manchester zu treffen. Sie wollte mich auf dem letzten Streckendrittel begleiten. Da ich etwas schneller als erwartet in London ankam, bin ich nicht direkt nach Manchester hochgefahren. Ich bin über Reading und Oxford nordwärts gefahren und habe von Birmingham aus einen Abstecher an die walisische Grenze gemacht. Via Chester und über den Mersey River bin ich dann via Liverpool in Manchester angelangt. Dieser Abstecher an die Grenze zu Wales bot ein sehr ländliches Gebiet, wie man sich England eben vorstellt, inklusive der täglichen Ladung Regen.»

«Die Vogesen und Ardennen haben am meisten Spass gemacht.»

 

Welche Stopps waren Ihre persönlichen Highlights?

Urs Traxel: «Das ganze Projekt an sich war ein Erlebnis. Doch insbesondere die Region der Ardennen war spannend, da ich dort zum ersten Mal war. Zudem waren die Ardennen körperlich die grösste Herausforderung. Dann gab es noch den Ort Dinant, die Heimat des Erfinders des Saxophons. Dinant ist eine sehr gemütliche, schöne Stadt die mir vorher nichts gesagt hat. Positiv überrascht war ich von Lille und Nordfrankreich. Die Nordfranzosen haben sich als extrem freundlich herausgestellt. In England war London, als meine Lieblingsstadt, natürlich wieder ein Highlight. Sehr spannend waren auch Chester und Liverpool. Viel erwartet hatte ich von Manchester, der immerhin drittgrössten Stadt Englands. Aber ich wurde etwas enttäuscht. Denn ich habe eine gewisse Leblosigkeit in dieser Stadt gespürt. Das mag auch daran liegen, dass die Stadt zweigeteilt ist in ein altes und ein neues Manchester, welches viele Telekommunikationsdienstleister beherbergt. Da stehen zwar viele top moderne Bauten, die aber sehr leblos erscheinen.»

Leider mussten Sie die Tour vorzeitig in Manchester beenden, da Ihr Fahrrad gestohlen wurde. Was war das für ein Gefühl und wie ging es weiter?

Urs Traxel: «Das war ein komisches, sehr schwer zu beschreibendes Gefühl. Die Enttäuschung war riesig, insbesondere da meine Frau zu diesem Zeitpunkt mit Fahrrad und kompletter Ausrüstung nach Manchester gekommen war. Wir haben einen Tag lang Manchester angeschaut und als wir losfahren wollten, war mein Rad plötzlich weg. Meine Frau konnte in England nicht einen Meter mit dem Fahrrad fahren. Zum Glück liegt es in der Natur von meiner Frau und mir, rasch wieder nach vorne zu schauen. So hatten wir innerhalb von zwei Stunden bereits ein neues Programm erstellt. Mit dem Mietwagen nach London, dort ein paar Tage geniessen, dann zurück in die Schweiz fliegen, Sachen packen und gleich mit dem Rennrad runter nach Italien in die Emiglia-Romagna, um wenigstens noch einige Tage mit dem Rad unterwegs zu sein. In Italien hatten wir super Wetter während für Schottland die ganze Zeit schlechtes Wetter und Regen anzeigt wurde. Unsere Enttäuschung hielt sich letztendlich in Grenzen. Das hat mir wieder einmal gezeigt, dass man sich das Leben unnötig schwer macht, wenn man nicht adaptionsfähig ist. Man muss auch mal nach links oder rechts gucken können.»

«Zum Glück liegt es in der Natur von meiner Frau und mir, rasch wieder nach vorne zu schauen.»

 

Was war die grösste Herausforderung der gesamten Tour?

Urs Traxel: «Etwas unangenehm war, dass ich täglich eine neue Unterkunft finden musste. Wenn man täglich 100 Kilometer mit dem Fahrrad fährt, mit fast 30 Kilogramm Gepäck, zehrt das an den Kalorien und gibt Hunger. Dementsprechend musste ich jedes Mal eine Unterkunft oder einen Ort finden, wo ich auch eine Mahlzeit zu mir nehmen konnte. Eine echte Herausforderung war allerdings, dass ich nach 14 Tagen langsam Mühe bekundete, alleine unterwegs zu sein. Ich konnte all die Dinge, die ich sah, mit niemandem direkt teilen. Umso glücklicher war ich, als ich meine Frau dann in Manchester wiedergesehen habe.»

Welche Momente/Erlebnisse/Anekdoten sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Urs Traxel: «Eine Story bleibt mir wahrscheinlich auf ewig hängen. Nach Luxembourg hatte ich das Ziel, innerhalb von drei bis vier Tagen nach Lille zu fahren. Als erstes Übernachtungsziel hatte ich mir ein belgisches Städtchen namens Neufchâteau ausgesucht. Am Vorabend habe ich auf booking.com nach Übernachtungsmöglichkeiten in diesem Ort gesucht und dabei übersehen, dass es auch ein Neufchâteau in Frankreich gibt, welches ich aus Versehen bei booking.com ausgewählt hatte. Die Website zeigte mir mehrere Übernachtungsmöglichkeiten an. Daher wartete ich noch mit der Buchung, um vor Ort zu entscheiden. Da ich am nächsten Tag länger als bisher üblich unterwegs war, wollte ich mittags sicherheitshalber vorab buchen und wählte das erste Hotel in der Ergebnisliste von booking.com aus, ein Hotel namens Eden. Gegen halb acht abends kam ich dann im belgischen Neufchâteau an, wo ich dann schliesslich auch vor einem Hotel Eden stand. Wie der Zufall es wollte, gibt es allerdings in beiden Orten ein Hotel mit diesem Namen. Die Frau an der Rezeption hatte natürlich keine Buchung von mir vorliegen, da ich ja im französischen Neufchâteau gebucht hatte. Glücklicherweise bot man mir das letzte Zimmer im Hotel an und ich bekam sogar noch eine gute und warme Mahlzeit. In dem Moment hätte ich jeden Preis für das Zimmer bezahlt. Ein Erlebnis, welches mich fasziniert hat, waren die Schleusen auf den Wasserstrassen Englands. Früher habe ich bereits von Schleusen gelesen, die viele Höhenmeter überwinden konnten. Im Zuge meiner Tour bin ich eher zufällig dort hingelangt und fand ein kilometerlanges Schleusensystem vor. Alle paar Meter eine neue Schleuse, die den Booten erlaubt, grosse Steigungen zu überwinden. Diese Schleusen sind bis zu dreihundert Jahre alt, echte Qualitätsarbeit aus dem 18. Jahrhundert und funktionieren noch heute einwandfrei handbetrieben.»

Was haben Sie durch diese Erfahrung gelernt?

Urs Traxel: «Erstens musste ich anpassungsfähig sein. Dies war schon immer ein wichtiges Element meiner beruflichen Tätigkeit. Flexibilität, Adaptionsvermögen und Change sind in der heutigen Welt der Digitalisierung Aspekte präsenter denn je. Zweitens habe ich einmal mehr erkennen müssen, dass ich kein Einzelgänger bin. Ich brauche Teamwork und Gesellschaft, sei es mit meiner Frau, meiner Familie oder auch im Arbeitsleben. Ich brauche Menschen um mich herum, mit denen ich echte Gespräche statt nur oberflächlichen Small Talk führen kann.»

«Ich habe einmal mehr erkennen müssen, dass ich kein Einzelgänger bin.»

 

Wohin geht es als nächstes?

Urs Traxel: «2018 wird erstmal unspektakulär. Meine Frau und ich planen verschiedene Radwochen mit dem Rennrad und dem Mountainbike. Wir haben zum ersten Mal im Frühling Mallorca mit dem Rennrad gebucht. Zudem ist bereits Tradition, dass wir jährlich mit einer Gruppe von 10 bis 20 Kolleginnen und Kollegen die Auffahrt nach Italien in die Emiglia-Romagna fahren und dort Tagestouren absolvieren. Für 2019 haben wir eine Projektidee. Wir möchten von ganz unten in Süditalien, das heisst in Apulien starten und hoch bis nach Mittelitalien, vielleicht sogar an die Schweizer Grenze fahren. Schottland und den Lake District werden wir irgendwann später nachholen.»

Vielen Dank für das Interview!